Partizipative Forschung in der Basisbildung. Ein Projekt des „Kollektivs In.Bewegung“
Forschungskurs Lernen
Als eines der ersten partizipativen Forschungsvorhaben der Basisbildung im deutschsprachigen Raum wurde das Kollektiv In.Bewegung und der Forschungskurs Lernen im Mai 2017 in Klagenfurt etabliert, mitgestaltet von KursteilnehmerInnen auf freiwilliger Basis. In vier Fokusgruppen wurden Forschungsfragen entwickelt, Daten erhoben und ausgewertet, sowie Ergebnisse verbreitet.
Die Daten wurden über eine eigens eingerichtete WhatsApp-Gruppe geteilt, in der schriftlich, über Fotos und Sprachaufzeichnungen kommuniziert wurde. Vertrauen musste aufgebaut werden, um einen „sicheren Raum“ zu schaffen, wie es Monika Kastner, die wissenschaftliche Leiterin des Projektes formuliert: „Die Anwesenheit vertrauter Personen – VHS-Personal, Bekannte, FreundInnen aus Kursen – ermöglichte es offenbar, sich auf die Prozesse einzulassen.“
Abkehr von der Be-forschung
Für das Thema Basisbildung in Österreich scheint dieser Zugang wie geschaffen zu sein. Die hier tätigen AkteurInnen betrachten die „Be-forschung von Teilnehmenden“ ohnehin sehr kritisch. Zugriffe von außen auf Teilnehmende und Kursleitende bzw. Lernsettings zu Forschungszwecken werden zurückgewiesen. Viel stärker sieht man sich der (Selbst-)Ermächtigung und der Lebensweltorientierung verpflichtet und vertritt kritisch-emanzipatorische Ansätze.
Gegen das Konzept des „Bildungsdefizits“
Die Basisbildung in Österreich lehnt auch die Defizitorientierung, die im Diskurs der Basisbildung und Alphabetisierung eine große Rolle spielt, konsequent ab und formuliert damit eine Gegenposition zur Privatisierung der Verantwortung am „Bildungsdefizit“, die Erwachsene mit Basisbildungsbedarf nach wie vor selbst für ihre „Bildungsarmut“ verantwortlich macht. Die Verantwortung wird dabei weniger auf der gesellschaftlichen oder institutionellen Ebene verortet. Die Mitgestaltung der Forschungsprozesse durch die KursteilnehmerInnen selbst, wie es das Kollektiv In.Bewegung umsetzt, stellt damit eine Alternative zur Defizitorientierung auch auf wissenschaftlicher Ebene dar.
Transformative Learning Theory
Als theoretischer Bezugsrahmen des Projektes dient die von Jack Mezirow Anfang der 1970er Jahre formulierte und seither weiterentwickelte Transformative Learning Theory. Diese Theorie vereint unterschiedliche Theoriefundamente, konstruktivistische, humanistische und jene der Kritischen Theorie. Monika Kastner beschreibt die Komplexität des Ansatzes: „Gefasst werden individuelle und kollektive Transformationsprozesse auf kognitiv-rationaler Ebene, auf imaginativer und intuitiver Ebene, auch auf spiritueller Ebene, im Hinblick auf Individuation, aber auch relational gesehen und in Verbindung mit social change. Das alles ist aus meiner Sicht hoch anschlussfähig für Veränderungs- und Entwicklungsprozesse, die im Rahmen der Basisbildung beobachtet und ausgelöst werden können.“
Ist das Wissenschaft?
Ein traditionelles wissenschaftliches Verständnis hinterfragt die wissenschaftliche Gültigkeit entsprechender Methoden Monika Kastner hält dem entgegen: „Natürlich ist partizipative Forschung ein Bruch mit dem Paradigma der naturwissenschaftlichen Forschung, wo es ein gleichsam unantastbares Erkenntnissubjekt – den Forscher – gibt. Doch an qualitativen Paradigmen orientierte kultur-, sozial-, und geisteswissenschaftliche Forschung hat sich davon doch schon immer abgegrenzt und andere Gütekriterien für qualitativ-empirische Forschung entwickelt. Provokativ könnte ich behaupten, sie hat sogar höhere Gültigkeit, weil sichergestellt ist, dass die Sichtweisen aller an einem Phänomen, einem Feld beteiligten Menschen Beachtung finden.“
„Mode 2“ – Wissenschaft
In der Wissenschaftsforschung wird von „Mode 2“-Wissenschaft gesprochen und damit ist gemeint, dass neben traditioneller Forschung sind auch „neue“ Arten von Wissensproduktion zu beobachten sind. Zwischen partizipativer Forschung im Sinne der community-based participatory research und vergleichbaren Ansätzen wie der Begleit- und Interventionsforschung und der Aktionsforschung bestehen Schnittmengen, etwa das Ziel der Veränderung. Oftmals aber binden partizipatorische Forschungsprojekte marginalisierte, benachteiligte Zielgruppen kaum ein. Das ist bei der community-based participatory research anders und ist zugleich eine Stärke dieses Ansatzes – ein dialogisches, interaktives, gemeinsames Lernen mit dem Ziel individueller und kollektiver Transformation.
Ausblick
Die Projektgruppe Kollektiv In.Bewegung plant im Anschluss an dieses Projekt ein größer angelegtes partizipatives Forschungsprojekt. Erst dort wird sich der Nutzen für die Beteiligten deutlich zeigen, hält Monika Kastner fest, „denn dort können sich Transformationen im Sinne der Transformative Learning Theory als Lern- und Veränderungsprozesse zeigen. Ein solches Forschungsprojekt wird dann einen Beitrag zur kollektiven Erforschung des Lernens und der Bildung in der Basisbildung leisten und kann individuelle und kollektive Kompetenzentwicklung ermöglichen.“
Literatur
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Dieser Artikel wurde erstellt im Auftrag von CONEDU und publiziert am 14.9.2017 auf der Plattform EPALE