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Entmystifizierung des Begriffs „Technik“ – ein Schritt in Richtung Gleichstellung

Technik wird mit der Möglichkeit, die Zukunft zu gestalten, assoziiert. Wer "die Technik beherrscht" verfügt damit über ein hohes Maß an gesellschaftlicher Macht. Diese Macht wird diskursiv auch sprachlich abgesichert, durch männliche Konnotationen und mythische Überhöhungen von Begriffen. Der Beitrag verfolgt die These, dass eine sprachliche Entmystifizierung ein Beitrag zu einer Veränderung der traditionellen Zuschreibung "Technik ist männlich" sein könnte.

Die Herkunft des Begriffs „Technik“ zeigt Duden:

neulateinisch technica = Kunstwesen; Anweisung zur Ausübung einer Kunst oder Wissenschaft, zu neulateinisch technicus < griechisch technikós = kunstvoll; sachverständig, fachmännisch, zu: téchnē = Handwerk, Kunst(werk, -fertigkeit); Wissenschaft

In Bezug auf die Bedeutungen nennt Duden mehrere Bereiche:

  • Gesamtheit der Maßnahmen, Einrichtungen und Verfahren, die dazu dienen, die Erkenntnisse der Naturwissenschaften für den Menschen praktisch nutzbar zu machen
  • besondere, in bestimmter Weise festgelegte Art, Methode des Vorgehens, der Ausführung von etwas
  • technische Ausrüstung, Einrichtung für die Produktion
  • technische Beschaffenheit eines Geräts, einer Maschine o. Ä.
  • Stab von Technikern
  • technische Hochschule

Der Sozialwissenschaftler Christian Fuchs beschreibt auf einer metatheoretischen Ebene 4 Technikkonzepte: Technik als Ding, Technik als Verfahren, Technik als Fertigkeit/Geschick, Technik als Prozess und er bietet eine Definition von Karl Eugen Kurrer an, die alle diese 4 Ebenen umfasst:

„Unter Technik werden zum einen Maßnahmen, Verfahren und Einrichtungen subsumiert, welche die Beherrschung und zweckmäßige Nutzung der Naturgesetze sowie der von der Natur gebotenen Energien und Rohstoffe im Sinn haben, zum anderen die Regeln und Kunstgriffe einer Tätigkeit […] T. ist die gesellschaftlich organisierte Entäußerung des sich zwischen Mensch und Natur vollziehenden Stoffwechselprozesses in Form der funktionellen Modellierung zum externen künstlichen Organsystem der menschlichen Tätigkeit“ (Kurrer, Technik, in: Sandkühler, 1990, Band 3, S. 534f).

Neben diesem Paradebeispiel definitorisch verdichteter Sprache widmet sich Christian Fuchs in diesem Artikel der für Annas Garage und das Thema der Gleichstellung bedeutenden Frage: „Bestimmt die Technik die Gesellschaft oder die Gesellschaft die Technik?“ Er liefert nach einer Gegenüberstellung von Technikdeterminismus und Sozialkonstruktivismus die Antwort und bezieht eine dialektische Position:  Es bestehen wechselseitige Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen Technik und Gesellschaft.

Bevor die These aufgestellt wird, dass sich hier auch die Frage nach der Gestaltungsmacht verbirgt, sei aus gleichstellungsorientierter Sicht darauf hingewiesen, dass mit den zitierten Definitionen der Mystifizierung von Technik als etwas „Schwieriges, das sich dem Zugang der Allgemeinheit entzieht“ (Steiner et al. 2015, S. 34) Vorschub geleistet wird. Ein breiterer, weniger mystifizierter Technikbegriff entspräche nicht nur einem wissensgesellschaftlichen Zugang, sondern würde auch gewährleisten, dass niemand ausgeschlossen wird.

Steiner et al. schlagen für die Orientierung von Schüler:innen folglich vor, Technik zu entmystifizieren: „Daher sei es sehr hilfreich, in der Beratung Alltagsbeispiele für technische Handlungen zu finden, die im Prinzip jede/r kennt oder schon einmal gemacht hat. Wichtig ist es, vorhandene Neugier aufzugreifen und die Erlernbarkeit der Materie zu verdeutlichen sowie technische Berufe als Berufe wie jeder andere auch in den rechten Rahmen zu rücken.“ (Steiner et al., S.34)

Um Mädchen in Annas Garage den Zugang zu technischen Kontexten zu ermöglichen könnte es also sinnvoll sein, weniger von „der Technik“ als allgemeinem Konzept zu sprechen und stärker auf die unterschiedlichen Tätigkeiten zu fokussieren, da damit der Mythos der männlichen Technik nicht so stark präsent ist.

Der allgemeine Begriff „Technik“ ist zu umfassend und suggeriert, dass alle Aspekte von Technik männlich seien. Der Versuch, statt allgemein von „der Technik“ über konkrete Tätigkeiten zu reden macht ihn weniger stereotypisierend. „Frauen haben kein Interesse an Technik … Was soll das heißen? Wovon reden wir da? Von Hochbau, Coding oder Filmschnitt? Die Breite des Begriffs führt in die Irre und unterstützt Verallgemeinerungen.“ (Heide Cortolezis)

Zukunftsorientiertes Verständnis von Technik

Auch wenn eine Veränderung in der Konnotation des Begriffs Technik in den letzten Jahrzehnten wahrnehmbar erscheint, bestimmen nach wie vor Bilder des Industriezeitalters unsere Vorstellung von Technik, beginnend mit rauchenden Schornsteinen und Mengen von Arbeiter:innen an den Fließbändern bis hin zum Einsatz von roher Manneskraft. In der Arbeit mit Jugendlichen allerdings benötigt man zukunftsorientierte Konzepte und Bilder von Technik. Alte, stereotype Vorstellungen sind aber nach wie vor stark wirksam.

Industrie – Technik – Mann

Im Zuge der Industrialisierung wurde die männliche Konnotation des Konzeptes Technik festgeschrieben, dies wirkt bis heute fort, Die Frage könnte sein, ob am Übergang vom Industriezeitalter zur digitalisierten Wissensgesellschaft, an dem sich auch das Verständnis von Technik völlig ändert, eine Auflösung der Vorstellung der „männlichen Technik“ möglich werden könnte.

Die Trennung von Privatbereich und Erwerbstätigkeit oder auch die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung (Männer in die Fabrik, Frauen in den Haushalt und in die Kindererziehung) war eine Folge der industrialisierten Arbeitswelt, die sich im 19. Jahrhundert verfestigte. Die Verbindung von Mann und Technik wurde strukturell verstärkt, indem die Diskurse Technik und Militär – im Verständnis des 19. Jahrhunderts naturgemäß eine Männerdomäne – starke Schnittstellen entwickelten. So waren etwa die Ingenieurscorps – technische Ausbildungsstätten des 19. Jahrhunderts – stark an das Militär gebunden. Technisches Wissen wurde dadurch noch stärker mit männlichen Verhaltensweisen in Verbindung gebracht. Technische Bildungsanstalten waren ausschließlich für Männer gedacht. So war zum Beispiel der Militärdienst Voraussetzung für die Aufnahme an eine Technische Hochschule.

Im aktuellen Paradigmenwechsel zur digitalisierten Wissensgesellschaft deutet wenig darauf hin, dass ein neues Verständnis von Technik mehr Frauen in die Technik bringen könnte. Wie Karin Grasenick in ihrem Beitrag im Band „Annas Garage – Skizzen – Themen – Ergebnisse“  ausführt, erhöht sich der Anteil der weiblichen Professionals im Bereich Artificial Intelligence seit Jahren nicht und stagniert bei knapp über 20%. (Der Frage, wie Digitalisierung geschlechtergerecht gestaltet werden kann, geht die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht nach.) Der Anteil von weiblichen Studierenden an den Technischen Universitäten – eingedenk der Unterschiede zwischen den Studienrichtungen und der weiblichen Lehrlinge in technischen Lehrberufen zeigt keine sprunghaften Tendenzen nach oben.

Diskursanalytisch betrachtet drängt sich die Vermutung auf, dass es unabhängig vom Technikverständnis um die Frage der Macht geht. Wenn Technik das entscheidende Werkzeug zur Gestaltung der Welt ist – dies zeigt sich beispielsweise in der deterministischen Haltung, dass nur der technische Fortschritt die Klimakrise wird lösen können – und Technik ein männliches Konzept ist, haben die Männer die Macht zur Gestaltung der Welt und es ist naheliegend, dass sie diese Macht nicht ohne weiteres abgeben werden.

Diese These wird von der Geschichte der ENIAC Girls (Electronic Numerical Integrator and Calculator) gestützt. Als „computers“ waren sie die ersten Programmiererinnen, bis die Männer erkannten, dass es sich dabei nicht um simples Eintippen von Daten handelte, sondern um ein Werkzeug zur Gestaltung der Welt. Sobald die Männer dieses Arbeitsfeld übernahmen, erhöhten sich Prestige und Bezahlung.

Aus dieser Perspektive lässt sich postulieren, dass eine größere Begeisterung von Frauen und Mädchen für technische Kontexte nur dann erreicht werden kann, wenn sich die Machtverhältnisse ändern und Frauen die gleiche Möglichkeit zur Gestaltung erhalten – nicht nur der Prozesse und Artefakte, sondern der Gesellschaft insgesamt.

Literatur

Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten. Gutachten für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Berlin 2021.

Steiner Karin, Monira Kerler, Sandra Schneeweiß (2015): Praxishandbuch Technische und naturwissenschaftliche Qualifizierungen von Frauen. Berufsorientierung und Methoden für gendergerechte Didaktik. Resilienzfaktoren gegen die geschlechtsspezifische Segregation. Wien.